Flüchtlingszeiten -

Christsein konkret



Predigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis am 12./13. September 2015


Predigttexte:
1.) Jakobus-Brief, Kapitel 2, Verse 14 - 18 sowie
2.) Markus-Evangelium, Kapitel 8, 27 - 35

Das Messias-Bekenntnis des Petrus ist wohl eines der beeindruckensten Bekenntnisse, die Menschen gegenüber Jesus im Neuen Testament aussprechen.
Die Frage Jesu richtet sich auch im Laufe des Lebens immer wieder an uns: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“

Für die einen ist Jesus ein Sozialrevoluzzer, für die anderen ein verrückter Spinner, ein Gutmensch, einer, der sich leicht aufs Kreuz legen lässt; also schon im damaligen Weltbild und auch bei uns heute eine allenfalls tragische Figur, aber vor allem jemand, dem man nicht bedingungslos folgen will.

Für die anderen aber, wie den Petrus, ist Jesus „Alles“, in ihm verdichtet sich alle Hoffnungen, alles Sehnsüchte nach Heil und Rettung. Denn nichts anderes wird durch den Begriff „Messias“ gesagt.

Jesus hört dieses Bekenntnis des Petrus, aber er überrascht mit seiner Reaktion auch sofort. Er sagt nicht: „Toll hast du das gesagt Petrus. Recht hast du. Nur weiter so … du bist auf dem richtigen Weg.“ Oder er sagt auch nicht: „Dieses Bekenntnis wird dich retten!“
Stattdessen provoziert er und anstatt seine Jünger zu bekräftigen, macht er ihnen eher Angst, in dem er sofort deutlich macht, dass sein Weg ein Weg des Leidens und des Kreuzes sein wird.

Ziemlich unklug von Jesus, oder?
Da hat er gerade welche gefunden, die zu ihm stehen wollen; vielleicht mit viel Idealismus, doch dann mutet er sich ihnen wieder zu.
Strategisch nicht gerade klug. Und selbst Petrus, der vorher noch so leidenschaftlich ihn als seinen Messias bekannt hat, sieht das offensichtlich auch so, wenn er Jesus beiseite nimmt (übrigens eine sehr starke Szene und Beschreibung, die deutlich macht, dass die Beziehung zwischen Petrus und Jesus auf Augenhöhe stattfindet; denn Petrus sieht sich in der Lage, ihm, seinem Messias und Meister Vorwürfe zu machen.)

Vielleicht hat Petrus aber auch selbst kalte Füße, Muffensausen bekommen, wie man so sagt?!

Auf jeden Fall wird auch hier deutlich, was schon Jesus an anderer Stelle sagt: „Nicht jeder der sagt: Herr, Herr! wird in das Himmelreich kommen, sondern nur der, der den Willen meines Vaters erfüllt.“ (vgl. Mt 7,21)

Damit macht Jesus deutlich: Das Messias-Bekenntnis allein reicht nicht aus; es muss auch praktische Konsequenzen im alltäglichen Leben haben.

Diesen Gedanken überträgt Jakobus in der heutigen Lesung ganz konkret ins Leben: „...was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwas der Glaube ihn retten?“ (vgl. Jak 2,14)

Mit Jakobus haben wir einen Vertreter der Glaubensrichtung, die der Überzeugung folgt, dass der Glaube allein nutzlos ist, wenn er sich nicht auch in gläubigen Werken niederschlägt.
Auch ich schließe mich dieser Glaubenshaltung an; auch ich bin der festen Überzeugung: wenn der christliche Glaube nur Lippenbekenntnis ist, nur das Dahersagen von Dogmen und Nachplappern von Gebeten, dann ist er unwirksam, wenn er nicht auch eine ganz konkrete und praktische Relevanz in unserem alltäglichen Leben hat.

Zur Zeit erleben wir mit der Flüchtlingskrise eine Zeit, in der wir sehr konkret in unserem eigenen Leben überprüfen können, auf welcher Seite wir stehen.


Ob wir auch der festen Überzeugung sind, dass unser Glaube uns das Rüstzeug gibt, schon im Hier und Jetzt unsere kleine Welt besser zu machen und zum Guten zu verändern, oder ob wir meine, wir könnten es beim (sonntäglichen) Kirchgang belassen und danach einfach so weiterleben wie bisher, z.B. in dem uns das Schicksal der Flüchtlinge gleichgültig und ohne Initiative bleiben lässt.

Dabei haben wir doch alle Möglichkeiten, zu helfen.
Unserem Land geht es gut; die Wirtschaft läuft gut, die Arbeitslosigkeit geht zurück; unser Sozialstaat steht auf einem festen Fundament. Den heutigen RenternerInnen geht es im Durchschnitt so gut wie nie zuvor in unserer Nachkriegszeit.
Natürlich kann einiges in unserem Land besser werden, aber unser Klagen und Kritisieren ist doch ein Klagen auf ziemlich hohen Niveau, wenn wir uns auch nur andere EU-Staaten ansehen.

Im nüchternen Blick auf unsere wirtschaftliche und soziale Realität können wir doch sagen: wir haben das Zeug, um anderen Menschen zu helfen, die in Not sind, denen es schlechter geht.

Und anstatt uns daran zu erfreuen, mäkeln wir, wie sehr doch mal wieder Staat und Regierung versagen, …
- es sind halt immer die anderen, die für schwierige Lagen veranwortlich oder gar schuldig daran sind!

Liebe Schwestern und Brüder,

ich glaube, es ist mal wieder an der Zeit, daran zu erinnern, dass wir dankbar sein dürfen: dankbar, dass es uns gut geht und wir überhaupt in der Lage sind, zu helfen.

Und ich frage uns hier alle – vielleicht auch etwas provokant:
Es es nicht auch ein Geschenk Gottes, dass wir in der Lage versetzt sind, zu helfen. Darf uns das nicht mit Freude und Dank erfüllen?

Geben ist seliger, denn nehmen!“ - sagt ein Sprichwort.
Und da ist was Wahres dran: Denn wer wirklich und aus tiefsten Herzen geben kann, sowohl von seinen materiellen Möglichkeiten wie von seiner inneren Haltung der Freigiebigkeit, der bekommt so viel zurück.

Wer gibt, vergrößert damit das Glück: sowohl das des Empfangenden wie das eigene; davon jedenfalls bin ich überzeugt.

Natürlich soll dabei niemand überfordert werden, sondern nach seinen Möglichkeiten geben. Es wird von einem Christen nicht das Unmögliche erwartet, aber sicherlich zu fragen, was wir leisten können?

Ich empfinde diese Zeit der Flüchtlingskrise nicht als eine Zeit der Bedrohung und der Belastung, sondern als eine Zeit der Bereicherung.
  • Sie lädt mich nämlich dazu ein, zu fragen, was ich selbst ganz konkret tun kann?
  • Sei lädt mich darüber hinaus ein, meinen eigenen Horizont zu weiten, zu fragen, was das für Menschen sind, die sich erhoffen, in unseren Reihen Schutz und Hilfe zu bekommen?
  • Sie lädt mich ein, mich in einer bisher nie dagewesen Weise auf andere Menschen einzulassen, sie an meiner Lebenswelt teilhaben zu lassen und auch von ihnen eingeladen zu sein, an ihrem Leben, dem schutzlosen und zerbrechlichen, teilzunehmen.

Ich erlebe diese Zeit als eine doppelte Zeit des Geschenks:

  • Einmal, in dem ich mir bewusst werde, wie sehr ich beschenkt wurde mit den guten Gaben Gottes, die mich überhaupt erst in den Stand setzen, zu helfen und Schutz zu bieten und
  • zum anderen, mich von anderen Lebensgeschichten anrühren zu lassen.

Ich freue mich, dass Menschen aus weiter Ferne uns - und das heißt auch jedem und jeder von uns - zutrauen, ihr Leben zu schützen und zu bewahren.

Wenn nicht wir, wer dann, ist dazu in der Lage?! Darin sehe ich ein Geschenk der Gnade Gottes!

Sind wir bereit dieses Geschenk anzunehmen und zu nutzen in dem Sinne des „Kreuzes ohne Arme“ in der Ludgeri-Kirche in Münster, wo anstelle der Arme Christi folgende Balkenaufschrift steht, die Jesus in den Mund gelegt wird: „Ich habe keine anderen Hände als die euren!“?
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Bild: (c) Gerd Wittka, 2015

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