Jens Spahn regt zum Nachdenken an

Hier dokumentiere ich meine Predigt zum 5. Fastensonntag, 18.03.2018, in der ich ein aktuelles Thema aufgreife.

Quelle: www.pixabay.com


Liebe Schwestern und Brüder,

es ist ja nicht so, dass ich keine Themen für eine Predigt hätte – das Gegenteil ist der Fall.

Habe ich seit Anfang der Woche gedanklich eine Predigt zum heutigen Evangelium entwickelt, bewegt eine aktuelle Diskussion gesellschaftspolitische Kreise in unserem Land.

Es geht um eine Äußerung des neuen Gesundheitsministers Jens Spahn.

In einem Interview hatte er am letzten Wochenende vor der Geringschätzung des deutschen Sozialsystems gewarnt und geäußert: "Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut".
Quelle: https://www.ndr.de/ndr1niedersachsen/Jens-Spahn-Hartz-IV-bedeutet-nicht-Armut,spahn160.html

Diese Äußerung wird nun heftig diskutiert.

Als Christinnen und Christen ist es nötig, dass wir uns in diese Debatte einschalten.
Und so möchte ich heute einige Aspekte aus der Sicht unseres Glaubens beleuchten.

"Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut".

Nach Spahn ist Hartz IV ein gesellschaftlicher und staatlicher Beitrag zur Verhinderung von Armut.
(Vielleicht schaffe ich auch noch, mit einigen Aspekten die Frage anzureißen, WAS Armut ist.)

Jens Spahn mach aber deutlich, dass Hartz IV etwas mit ‚Armut‘ in unserem Land zu tun hat.

Und ‚Armut‘ respektive ‚Reichtum‘ begegnet uns als Thema auch immer wieder im christlichen und kirchlichen Kontext.

Was aber hat es mit Armut im christlichen Kontext auf sich:


1. Armut ist kein christliches Ideal

Schon Jesus Christus kämpft gegen die Armut oder gegen Zustände, die in die Armut führen. Er heilt Kranke und Gelähmte, damit diese auch wieder zurück ins Erwerbsleben finden; er führt uns die materielle Not von Witwen und Waisen vor Augen und appelliert an die Großherzigkeit, denen Almosen zu geben.

Und Klemens von Alexandrien, der im 2. Jahrhundert lebte, macht in seiner Schrift „Welcher Reiche wird gerettet werden?“ deutlich, dass Armut ein ‚malum‘, also ein Übel ist, das der Christ durch Werke der Nächstenliebe und der Caritas bekämpfen muss.

Die Bekämpfung der Armut ist also kein Nebenbeigeschäft christlichen Glaubens, sondern ein Kerngeschäft der tätigen Nächstenliebe, das wir alle betreiben sollen.

2. Aber: „Selig die Armen“

In der Bergpredigt finden wir das Wort „Selig die Armen“.
Der heilige Franziskus hat dem Reichtum abgesagt und ist in die totale Armut gegangen und mit ihm seine SchülerInnen und Schüler, die als FranziskanerInnen zu Bettelmönchen wurden.
Wir sprechen auch manchmal von der „Kirche der Armen“ und gerade auch im Mittelalter hat die Kirche die Armen in ihrer Armut belassen und sie vermeintlich mit dem Lohn der Armut im Himmel getröstet. Doch heute wissen wir, dass dies Ausbeutung der Armen und die herrschende Klasse war.

Und diese Ausbeutung der Armen durch die herrschende Klasse bliebt dann ein Dauerbrenner in der politischen Menschheitsgeschichte und hat letztendlich zu den Gedanken des Kommunismus durch Karl Marx in seiner Schrift „Das Kapital“ geführt.

Wir können damit eigentlich sagen: das Versagen der Christen durch die Jahrhunderte hindurch hat die kommunistische Idee eines Karl Marx erst möglich gemacht.

Ausschließlich in einem Zusammenhang kann im christlichen Kontext ‚Armut als Ideal‘ verstanden werden und das ist die ‚Armut um des Himmelreiches willen‘; das ist die freiwillige uns selbstgewählte Armut, die aber einer spirituellen Quelle entspringt und die die Armut als Bestandteil eines spirituellen Weges der Bedürfnislosigkeit und Angewiesenheit versteht.

Armut, die also im christlichen Sinne gutgeheißen und gelobt werden kann, ist ausschließlich und allein die Armut, die in einem freien, selbstbestimmten Akt als Baustein eines spirituellen Weges gewählt wurde.

Und auch diese selbstgewählte Armut ist keine Armut, die als Anspruch für uns alle in ihrer ganzen Radikalität im Raum steht.

Wenn der Christ sich zu einem bestimmten spirituellen Weg auch unter bestimmten materiellen Vorzeichen entscheidet, dann muss dies immer ein Weg der Freiheit sein, sonst kann er nicht gutgeheißen werden. Dies gilt deshalb auch für die Armut.

Diese beiden Aspekte:
    • der Kampf gegen die unfreiwillige Armut und
    • die Achtung der freiwilligen Armut als Ausdruck einer persönlichen Berufung


müssen wir als Christen immer mit im Hinterkopf behalten, wenn wir uns zum Thema Armut Gedanken machen oder uns auch dazu äußern.


Lassen Sie mich zum Schluss noch einige kurze Gedanken zur Armut an sich machen:
Quelle: www.pixabay.com

1) Armut ist relativ

Bei der Frage, ob jemand arm ist, müssen wir viele Umstände mit beachten.
Man kann sicherlich sagen, dass der Geldbetrag, den hier Menschen mit Hartz IV in Deutschland bekommen, ausreichen würde, um in Drittländern als wohlhabend zu gelten.
Armut muss also auch in Bezug auf die allgemeinen durchschnittlichen Lebensbedingungen von Menschen innerhalb einer Gesellschaft beantwortet werden.

2) Armut hat vielfältige Gesichter


    • Armut ist mehr als nur materieller oder finanzieller Mangel; die Fratze der Armut hat mehrere hässliche Gesichter.
    • Armut bringt massive Folgen für die soziale Teilhabe mit; wer arm ist, kann nicht am gesellschaftlichen Leben so teilnehmen, wie es andere können. Armut führt also mitunter auch in die Vereinsamung und in einen sozialen Tod.
    • Armut schwächt die Zukunftschancen: Wer arm ist, hat trotz eines sehr verzweigten Bildungs- und Berufssystems schlechte Zukunftschancen. Das beginnt schon in der Schule und setzt sich später fort. Das ist keine Ideologie sondern wissenschaftlich belegt.
    • Armut gefährdet den sozialen Frieden: Wer arm ist, ohne Chancen abgehängt ist von der wirtschaftlichen und sozialen Teilhabe, der wird zu recht neidisch und fühlt sich ungerecht behandelt. Der sich daraus entwickelnde Schrei nach Gerechtigkeit macht dann auch vor Gewalt und Revolutionen nicht halt.
Armut ist eine Gefahr für unsere Freiheit und Demokratie.
Die Bekämpfung der Armut hingegen ist also ein aktiver und verantwortlicher Beitrag zum sozialen Frieden in der Gesellschaft.
    • Armut schwächt das Selbstbewusstsein. Ständig in dem Bewusstsein leben zu müssen, von den Gaben anderer abhängig zu sein, schadet dem Selbstbewusstsein von Menschen und stellt einen Angriff auf seine Würde da. Auch wenn wir staatlicherseits einen gesetzlichen Anspruch auf Sozialleistungen haben, empfinden viele doch diese Sozialleistungen als ‚Almosen‘.

Der Kampf gegen die Armut ist also nicht nur ein Kampf für bessere finanzielle und materielle Verhältnisse sondern auch ein Kampf für Chancengleichheit und -gerechtigkeit, der Kampf für sozialen Teilhabe und sozialen Frieden und für ein Leben in Würde.

Liebe Schwestern und Brüder,
wenn wir uns also in der gesellschaftlichen Debatte um die Äußerungen von Jens Spahn einschalten, dann müssen wir all diese Aspekte mit bedenken.

Jens Spahn sollte mal die Menschen fragen, ob sie Angst vor Hartz IV haben? -
Die Antworten werden zeigen, ob Hartz IV eine gute “...Antwort
unserer Solidargemeinschaft auf die Armut...”
(Jens Spahn) ist?!

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